In schwarzen Wellen schäumte das Wasser an das nächtliche Seeufer. Wie ein Gespenst zog der Nebel in der mondlosen Nacht über den See. Und der Schrei einer Eule begleitete ihn durch die nachtkalte Luft. Ansonsten herrschte im Eichenwald am Ufer Grabesstille. Es schien als würden die Nachttiere auf etwas Bestimmtes warten. Plötzlich kroch ein scharrendes Kratzen über den dunklen Waldboden und das Wispern der Tiere setzte wieder ein. „Da ist sie“, flüsterte das braune Eichhörnchen, das sich in den Silhouetten der Bäume aufzulösen schien. „Da muss etwas geschehen sein.“, gab der nachtgraue Wolf zurück bevor auch er eins mit der Dunkelheit wurde und zu seiner Höhle verschwand. Das Scharren wurde nun zu einem schmerzverzerrten Stöhnen. Und plötzlich jaulte ein Hund herzzerreißend in die mondlose Nacht.
„Böse Menschen“, zischelte das Gespenst einen dunklen Sack hinter sich herziehend. „Wie können sie nur!“ Aus dem Waldschatten trat eine rothaarige kleine hutzlige Frau mit einem grünen zerknautschten Hut auf dem Kopf. Schlurfend schleppte sie ihren grauen Sack zum Ufer des Sees und ließ sich in den vom Tag noch warmen Sand nieder. „Was mache ich denn jetzt nur?“, flüsterte sie als wäre noch jemand bei ihr und schaute traurig über das silberne Wasser. Wie aus dem Nichts kam furchtlos eine kleine Bachstelze aus dem Schilfrohr am Ufer auf das zusammengekauerte Wesen zu gehüpft und fragte leise zwitschernd: „Und nun? Hier können wir nicht bleiben, Minzia.“ Mit den Flügeln flatternd sprang sie auf die rechte Schulter ihrer Freundin und schaute in das sonst immer so freundlich leuchtende Gesicht. Besorgt zupfte der Vogel erstmal den Hut zu Recht, so dass er wieder wie ein kleiner Hexenhut aussah. „Ich weiß es noch nicht, Oskar.“, schniefte die kleine Hexe Minzia hoffnungslos und sah den kleinen Vogel traurig an. „Ich glaube nicht, dass der Bürgermeister den Müllberg wieder abtransportieren lässt. Wozu auch? Dort bemerkt ihn ja niemand!“
In Gedanken sah sie noch einmal wie einige Stunden zuvor plötzlich im Dunkeln ein großer Laster auf die kleine Landzunge am See, auf der ihre Hütte versteckt stand, fuhr. Vor Schreck war Minzia aus ihrer Hütte gesprungen und hatte sich hinter dem nahe gelegenen Ameisenhaufen versteckt. Von dort konnte sie sehen wie der Bürgermeister des nahe gelegenen Dörfchen Mittenimwalde auf der Beifahrerseite hinaus sprang. Er schaute sich mit zusammengekniffenen Augen um und gab dann dem Fahrer ein verschwörerisches Zeichen. Daraufhin stellte der dunkel gekleidete Fahrer die Ladefläche des riesigen Fahrzeuges schräg und lud mit einem lauten Wusch stinkenden Müll ab. Genau auf Minzias kleine Holzhütte, so dass bloß noch eine Hälfte des schönen bunten Häuschens herausragte. „Und wag dich ja nicht irgendetwas zu erzählen!“ hatte der Bürgermeister noch den Fahrer angefaucht bevor sie schnell davon fuhren.
Ohnmächtig vor Wut war Minzia hinter dem Ameisenhaufen hervorgekrochen. Warum hatte sie es dem Bürgermeister nicht gezeigt und ihr kleines Häuschen geschützt. Nun war es zu spät, obwohl ihr gerade jetzt die gemeinsten Zaubersprüche einfielen. „Rumms die Rübe“ und er hätte sich seinen Kopf an einem Ast angeschlagen. Oder noch besser „Riffelkniffel Zitterkraut“ und seine Knie hätten zitternd nachgegeben. Sicher wäre er dann in seinen eigenen stinkenden Müllberg gefallen. Betroffen stellte Minzia fest, dass sie hier nicht bleiben konnte. Traurig nahm sie sich einen Sack aus der übrig gebliebenen Hälfte ihres Hauses und packte alles zusammen, was noch zu retten war. Zum Glück hatte sie auch ihren unbeschädigten Kessel und ihre geliebten Rezeptbücher gefunden und eingepackt.
„Hier können wir nicht bleiben.“ keckerte die kleine Bachstelze noch mal etwas lauter und holte Minzia damit aus ihren dunklen Gedanken zurück. „Da hast du Recht. Die Menschen gehen hier zum Baden her und um sich zu erfrischen.“ Minzia schüttelte sich widerwillig. Mit Menschen wollte sie vorerst nichts mehr zu tun haben. Aufmerksam suchte Minzia das Ufer des Sees ab. Zum Glück konnte sie im Dunkeln ausgezeichnet sehen. Wie eine Katze. Weiter den See entlang, versteckt hinter dichtem Schilf sah sie einen kleinen Bachlauf. Von dort zog auch ein intensiver Duft nach Pfefferminze auf. Entschlossen sprang die kleine Hexe auf und ging mit der Bachstelze auf der Schulter und ihren Sack hinter sich herziehend zum Bach. Schließlich schleppte sie sich am Bach entlang, wo der Duft nach Pfefferminze immer betörender wurde. Pfefferminze war ihr Lieblingskraut. Und plötzlich sah sie etwas entfernt den Umriss eines Pfefferminzbusches. Als sie näher kamen, sahen sie dort auch eine alte verbeulte Zuckerdose. „Die haben wohl Menschen hier vergessen.“, grummelte Minzia böse. Oskar, der von Natur aus sehr neugierig war, flog flatternd zur Dose und schaute hinein. „Die ist aber blitzeblank sauber.“, meinte er überrascht. „Fast wie ein kleines Häuschen.“ Das ließ Minzia aufhören. Schnell stellte sie den Sack mit ihren Sachen vor die Dose und lugte auch durch die Öffnung. Ein kleines Lächeln stahl sich das erste Mal in dieser schrecklichen Nacht auf ihr Gesicht. „Weißt Du was, Oskar, hier bleiben wir.“